Über mich selbst. Einige Bemerkungen
I.
An der Philosophie hat mich immer zuerst ihr Weltbegriff, nicht der Schulbegriff interessiert. Der Weltbegriff ist nach Kant das, was notwendigerweise interessiert. Ich näherte mich der Philosophie langsam und behutsam an, über die Theologie-, die Kunst- und die Geisteswissenschaften. Formale und begriffliche Präzision ist ein Weg zu diesem Weltbegriff. Wenn aber die Weite fehlt, nimmt sich die Philosophie Einzelwissenschaften zum Maßstab und verfehlt eben dadurch ihre spezifische Kompetenz umfassender Befragung, jene Skepsis, deren Kehrseite die Suche nach den letzten und ersten Gründen ist. Philosophie ist seit Aristoteles ihrem Wesensbegriff nach Erste Wissenschaft; zugleich ist sie mehr, sie ist, wie sich in seltenen Höhepunkten zeigte, auch in der Nähe zur Kunst und auf der Suche nach Weltwissen: Weisheit.
„Jeder Jäck ist anders“ weiß ein kluger Satz aus dem Rheinland. Wenn ich mich heute selbst charakterisieren sollte, muss ich sagen: Bei mir ist auf der einen Seite immer die Neigung zur akademischen Sphäre bestimmend gewesen, zu Genauigkeit, Präzision, Arbeitsaskese, die mir paradoxerweise, unter den Dingen der Welt, mit die größte Lust bereitet. Doch zum weltfernen Stubengelehrten eigne ich mich andererseits nicht. Weltneugierde und auch die Suche nach Wirkung, nicht das heimliche Glasperlenspiel, hatte ich immer mit im Sinn.
Mit meinen akademischen Lehrern hatte ich ein im nachhinein kaum vorstellbares Glück. In meinem ersten Semester hörte ich, ohne auch nur ein Drittel zu verstehen, die inspirierende, tastende Vorlesung des alten Friedrich Kaulbach über Hegels Phänomenologie des Geistes. Hier wuchs der Eindruck, dass mich die Philosophie lebenslang in Atem halten würde. Die Neigung zu Philosophen aus der älteren und ältesten für mich erreichbaren Generation begann hier: Lehrzeiten bei Berlinger und Erich Heintel schloss ich sehr bewusst an. Es war ein Abenteuer, von Meistern zu lernen, die Zeitgenossen der frühen Phänomenologie gewesen waren. Ebenfalls im ersten Semester hörte ich Manfred Riedel (1936 – 2009), Schüler von Bloch und Löwith, bei dem ich promovieren und unter dessen Ägide ich habilitieren sollte. Es war die Verbindung von skrupulöser Interpretation und fulminanten spekulativen Durchsichten. Riedel wurde mir zum kritischen Mentor. Von Anfang an legte er mir nahe: da gab es etwas zu verstehen. Er ließ mir Freiheit und kritisierte unbarmherzig. Kaum jemand fehlt mir wie er. Den Prägungen durch die anderen bedeutenden Lehrer, auch in den Feldern der Theologie, Geschichte Literatur- und Gesellschaftswissenschaften, die in meiner akademischen Biographie einen festen Ort haben, kann ich hier nicht im einzelnen nachgehen. Alle bestimmten mich. In der Philosophie indes wurde ich aus sehr eigenen Erwägungen heraus niemandes Schüler ganz, auch wenn mich Riedel, schon durch die genaue Betreuung der akademischen Qualifikationsschriften, besonders geformt hat. Nachkantische Subjektivitätsphilosophie lernte ich in München bei Dieter Henrich kennen, die spekulative Metaphysik des Einen im Neuplatonismus bei Werner Beierwaltes; auch Vorlesungen (damals gerade zur Rechtsphilosophie) und Seminaren von Habermas verdanke ich wesentliche Anregungen. Dass es in der Philosophie um Rekonstruktion geht und nicht nur um Doxographie, begriff ich bei ihm. Stephan Otto schloss mir die unbekannten Welten der Renaissancephilosophie auf. Dass Denken auch Darstellung sein muss, bei ihm lernte ich es.
Die literarische Hermeneutik und die Alteritätserfahrung an spätmittelalterlichen und barocken Texten bei Theodor Verweyen bleiben als intellektuelle Disziplinierung unvergessen; ganz anders waren die marxistischen und Lacanianschen Grenzgänge des großen Mediävisten Karl Bertau. Bei ihm erhielt ich nach den Sitzungen bemerkenswerte Privatissima. Eine Fachwissenschaft, die aus den besten und avanciertesten Ansätzen anderer Disziplinen mehr schöpfte als aus der unmittelbaren Literatur der eigenen Disziplin, war faszinierend. Auch die Gebrochenheiten und Negativitäten fand ich wieder, die ich in meinen jugendlichen Lektüren erprobt hatte und die mich, ohne dass ich an der Schule einen besonders inspirierenden Lehrer gehabt hätte, in die Literatur und Philosophie zogen. Geschichte in philosophischer Tiefenschärfe und in der Nähe zur praktischen Politik lernte ich von Michael Stürmer kennen. Er gehört zu den brillantesten akademischen Lehrern, die ich erlebte; und nicht nur darin wurde er mir zum Vorbild; auch als Stilist und Mann von Welt. Die Nähe in der Ebenhausener Zeit wurde zum Beginn eines Zwiegesprächs, das bis heute, mitunter unterbrochen, anhält.
In diesen frühesten Anfängen des Schülers waren Platon, Hegel, Heidegger; der Messianismus Ernst Blochs, die Negative Dialektik Adornos die ersten Leuchttürme. Solche Texte entzifferte ich als Gymnasiast, neben den großen Texten der Weltliteratur. Ich war in der Jugend wohl eher, was ich damals für ‚links’ hielt. Einerseits faszinierten mich die heißen Projekte: Spanischer Bürgerkrieg, Chansons und Lieder aller Proteste und Revolten. Sie gaben den Sound für die tieferen, dialektischen Erkundungen. Die Dynamik und Brechung der Moderne sog ich, auch musikalisch und in der bildenden Kunst, von früh an in mich auf.
Hier bedurfte ich niemals „nachholenden Revolutionen“. Und nicht zuletzt wurde mir eine gewisse intellektuelle und argumentative Begabung früh zum zweiten Habitus. Dass sie, und die stoische Intangiblität des Akademikers, die auch zu Zynismus führen kann, nicht ausreicht, wenn man Erkenntnisse gewinnen will, wurde mir nach und nach deutlich.
Das universitäre Leben in der Bundesrepublik war vor 25 Jahren, als ich mit ihm in Berührung kam, sehr frei, viel freier als sich heutige Bologna-Absolventen mit dem großen bürokratischen Aufwand und den Modularisierungen dies vorstellen, aber auch als es in interdisziplinären Stipendienclustern verortete künftige Juniorprofessoren bei ihrer Karriereplanung vor Augen haben. Ich selbst und meine nächsten Kommilitonen und Kommilitoninnen, Freundinnen und Freunde dachten wenig karrieretaktisch; wir redeten uns Nächte die Köpfe ein, obwohl der ideologische Furor der Nachachtundsechziger, glücklicherweise, schon längst der Vergangenheit angehörte. Früh kam ich sowohl an der Theologischen Fakultät wie im Deutschen Seminar zu Tutorien, Seminaren gemeinsam mit älteren Dozenten, und dann eigenen Lehrveranstaltungen. Ich war zwei, drei Jahre älter als die Studentinnen und Studenten.
II.
In meiner Halleschen Assistentenzeit erlebte ich in vergleichsweise jungen Lebensjahren eine bemerkenswerte Umbruchsituation. Es ging mir, in Übereinstimmung mit meinem Lehrer Manfred Riedel, vor allem darum, dort die Tradition der klassischen Philosophie, Interpretation und genuines Denken vor Augen zu führen. In meinen Halleschen Seminaren und später Vorlesungen behandelte ich die großen Texte der antiken und neuzeitlichen praktischen Philosophie, aber auch Grenzfragen zwischen theoretischer und praktischer Philosophie.
Die Verbindung zur Theologie wurde durch Erlanger Veranstaltungen an der Theologischen Fakultät (teils noch mit Friedrich Mildenberger und Heinrich Assel, teils mit Walter Sparn) durch viele Jahre fortgesetzt. Dass gerade evangelische Theologie sich der Philosophie eher in einer funktionalen Weise bediente, dass sie die Metaphysik scheute und deshalb zwischen Wort-Gottes-Treue und kulturalistischem Flagellantentum frei rotierte, notierte ich, kritisch. Mich interessierte und faszinierte die Verbindung von Fides und ratio. Dem hohen freundschaftlichen Respekt für einzelne Theologen tut dies keinen Abbruch.
Frei und als junger Doktor zu lehren, war zumal in Halle eine große Lust, begleitet durch die disziplinierte Arbeit an der Habilitationsschrift, die vom Akut der Moderne in der Dissertation (Heidegger und Nietzsche) auf die Grundfrage Platonischer Rechtslehre zurückkam, die ich als Zentrum Platonischen Denkens interpretierte. Ich wusste wohl, dass ich damit die Vorgeschichte jener Rehabilitation praktischer Philosophie aufzuarbeiten hatte, die Manfred Riedel seinerseits in seiner Untersuchung über die ‚Bürgerliche Gesellschaft’ mit inspiriert hatte. Jahre nach seinem Tod gab ich Riedels Habilitationsschrift als Buch heraus. Dass die Wahl des Nomos als Ausgangspunkt aber in das Ganze Platonischer Philosophie führen musste, war deutlich. Schon der Wortzusammenhang von „Nomos“ zu „noos“ („nous“) deutet dies an. Die metaphysisch spekulativen Linien, die im Zusammenhang jener Arbeit entwickelt wurden, stehen noch zur Publikation an. Manche Fäden schlangen sich von hier und von dem gründlichen Studium der neuplatonischen Tradition bei Werner Beierwaltes in den antiken Denkraum, auch im Wechselverhältnis zum Christentum und zu den spekulativen Denktraditionen des deutschen Idealismus, dort, wo sie nicht allein mit dem subjekttheoretischen Ansatz zu verfolgen waren. Die Arbeit an Platons Dialogwerk führte mich in größere Nähe zu sprachanalytisch semantischen Forschungen, aber vor allem zu der Lesekunst von Leo Strauss. Ihr und ihrer indirekten Mitteilung gebe ich unter den der Antike zugewandten politischen Philosophien des 20. Jahrhunderts den Vorzug. Von Platon aus begann ich mir die wesentlichen problemgeschichtlichen Knotenpunkte und die Systematik Praktischer Philosophie zu erschließen; also der Ethik, der Politischen Philosophie und der Rechtsphilosophie, auch in ihren modernen Filiationen. Spätere Studien zur Ökonomie konnten hier anknüpfen.
Die Wertschätzung gegenüber Heideggers Denken und jenem des deutschen Idealismus behielt ich aus meiner Promotion. Sie hatte dem Ende der Metaphysik und der spannungsreichen Zweisprache zwischen Heidegger und Nietzsche gegolten. Ich gewann aber demgegenüber eine sprachliche und systematische Freiheit und rekonstruktive Distanz. In Aufsätzen in der Habilitationszeit griff ich weniger in die standardisierten Fachthemen aus, die damals in der Zeit und den beginnenden Clustern lagen; vielmehr erschloss ich mir hier das Terrain des deutschen Idealismus neu und auch das der Kantischen Philosophie. Auch der Begriff der Natur in seiner Geschichte und die Systematik der Politischen Philosophie begann ich seinerzeit zu bedenken. Die Veröffentlichung der einschlägigen Studien steht noch weitgehend aus.
III.
Das Institut der Privatdozentur, nach Ablauf meiner Assistenten- und Oberassistentenzeit, bedeutete einen Bruch und machte mich nicht sonderlich glücklich. Dies lag vielleicht noch stärker an meinem Anspruch als junger akademischer Lehrer als an den Umständen.
Ich hatte, auch dank der Freiheit, die mir Manfred Riedel gewährte, als philosophischer Lehrer auf viele Hörer und manche wirken können, die vielleicht dabei waren, meine Schüler zu werden. In der freischwebenden Lage des Privatdozenten, ein Anachronismus, zumal nach Abschaffung der Diätendozentur und in Zeiten der Installierung der Juniorprofessoren, war dies schwieriger. So nahm ich alte Verbindungen nach Polen, vor allem an die Adam Mickiewicz-Universität Poznan auf, wo ich auf vielen Tagungen und in Vorlesungsreihen seit 1995 gewesen war. Über eine kurze Phase als DAAD-Dozent lehre ich seit 2006 dort als Professor Ideengeschichte des deutschen Sprachraums. Lehrstuhl und Institutsleitung, die ich nach Wunsch des Kreises um Jan Papiór hätte übernehmen sollen, konnten aus rechtlichen Gründen an einen Ausländer nicht übertragen werden. Meine Vorlesungen betreffen kulturphilosophische und -methodologische Themen; sie umfassen die großen Epochen der deutschen Geistes- und Ideengeschichte, wobei ich mich an der Erlanger geistesgeschichtlichen Tradition von H.- J. Schoeps orientiere, aber auch an der Literaturgeschichte. Die Freundlichkeit, mit der man mir in einer nicht einfachen Lebenszeit dort akademische Heimat bot, bleibt mir für immer unvergessen. Auch der Umgang mit den – im Vergleich zu Deutschland um einiges jüngeren – Studierenden war so positiv, dass manches Ermüdende an den Umständen geringer ins Gewicht fiel. Bis heute halte ich meine Lehrveranstaltungen in deutscher – und vereinzelt – englischer Sprache in voller Ausschöpfung meines Deputates ab. Unzählige Arbeiten habe ich betreut und Prüfungen abgenommen. Ich habe über diesen Ort, der sich in einer heutigen Gelehrtenvita wohl eher exotisch ausnimmt (wer geht, geht nach Westen oder Süden), nur auf Nachfrage, dann aber mit Stolz und Freude gesprochen. – Und ich bin nicht immer amüsiert, dass ich nicht selten in Diskussionen vor allem auf polnische Verhältnisse befragt werde. Ich habe keinerlei familiäre Bindungen nach Polen. Mit hohem Respekt für ihre jüngste Geschichte, aber unsentimental und freundschaftlich, ohne deutsches Negativ- und Positiv-Ressentiment, offen und klar näherte ich mich dem unbekannten Nachbarn. Religiosität und Freiheitssinn haben mich dort gleichermaßen beeindruckt, vor allem in ihrem souveränen Zusammenspiel. Doch nur auf Drängen schreibe ich über Polen. Polen ist für mich Freundesland und eine wichtige Wirkungsstätte, nicht mehr und nicht weniger. Mit Dr. Malgorzata Grzywacz, Historikerin, Edith-Stein- und Reformationsforscherin, verbindet mich eine langjährige enge, vielfach bewährte Freundschaft. Sie hat viel mit unserem wechselseitigen theologisch religionswissenschaftlichen Interesse zu tun. Dass ich zur nachhusserlschen Phänomenologie, insbesondere zu Edith Stein, viel forschte und schrieb, ist ihr zu danken. Sie ist einer der wenigen Menschen, von denen ich thematische Anregungen aufnehme: so will sie jüngst einen Aufsatz über Karl Valentin von mir. Den wird sie bekommen: immerhin der größte bayrische Philosoph seit Schelling! Wir veranstalteten Tagungen und begründen auch eine gemeinsame Schriftenreihe im Zeichen von Edith Stein und Dietrich Bonhoeffer, aber immer mit weitem Blick auf die Weltphilosophie und die Weltreligionen.
Die Sache hat eine Eigenlogik. Ich habe versucht, sie nicht von Umständen und auch nicht von Moden bestimmen zu lassen. Deshalb haben die Themen, die ich nach der Habilitation aufnahm, wenig mit Polen zu tun. Nach dem Arbeitsschwerpunkt zu Heidegger und Nietzsche, nach der Habilitation zu Platon sind mittlerweile wieder mehr als fünf Jahre vergangen: das neue große Themenfeld, in das ich mich vergrub, war Religionsphilosophie einerseits, interkulturelle Philosophie andererseits. Das Grundverhältnis von Glaube und Vernunft (fides et ratio) muss jedem, der Philosophie aus ihrer dauerhaften Problemgeschichte, zumindest indirekt metaphysisch auffasst und nicht nur szientistisch, bewegen. Es ist für die Traditionen der abendländischen Philosophie letztlich der zentrale Leitfaden. Meine Grundthese: Beim Thema der Religion steht Philosophie selbst zur Debatte. Niemand hat dies klarer gesehen als Augustinus, Thomas, Hegel oder Schelling. Heute wird es aber zum interkulturellen und globalen Problem Dass ich in diesem Labyrinth in äußerlich unruhigen Zeiten weiterkam, verdanke ich den Vorlesungen und Seminaren, die ich seit Wintersemester 2006/07 bis einschließlich Sommersemester 2010 an der Friedrich Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg an der Theologischen Fakultät, später Theologisches Department, halten konnte. Sie behandelten nicht allein religionsphilosophische Themen, sondern suchten Philosophie, Theologie und Religion in ihrem komplexen Verhältnis zu erhellen. Einiges davon ging in die Aufsätze und Abhandlungen jener Jahre ein. Ein kleines Buch ‚Religion‘ (2009) gibt eine knappe Summe, eine größere Monographie steht vor der Veröffentlichung. Dort in Erlangen, einer Stadt mit bildungsbürgerlicher Tradition und meine alte Alma mater, wuchsen mir neue Hörer zu, jüngere und ältere, in einer sehr intensiven, teilweise bewegenden Atmosphäre. Doch hätte ich mir eine stärkere institutionelle Verortung gewünscht, wenigstens auf Zeit – meine Hörer indes auch. Die Situation von Romano Guardini, dessen Vorlesungen zur ‚christlichen Weltanschauung‘ in den zwanziger Jahren nach den Veranstaltungen des Turnlehrers firmierten, ist mir nicht fremd. Qualität und Prägung der Lehre hängen davon nicht ab. Dass es in vielfacher Hinsicht eine größere Nähe zu Formen katholischer Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie gibt, erfuhr ich durch manche Begegnungen.
Meine damals projektierten Arbeiten, eben die Religionsphilosophie, aber auch eine Geschichte des Naturbegriffs fanden, trotz sehr positiver, namhafter Voten, nicht zu den großen Förderinstitutionen. Dies gibt auch Freiheit. An heutiger Forschungsförderung stört mich oftmals eine Konformität, der ich meine eigenen Arbeitsschwerpunkte nicht opfern will. Oftmals bleibt der Theorie- und Begriffsrahmen unter dem Konventionellen unbefragt. Und gerade in der Philosophie ist dies sehr problematisch. Hier wären Revisionen erforderlich, die auch das Profil von ‚Exzellenz‘ verändern müssten. Philosophie sollte eine Widerständigkeit
wahren, gegen Meinungsmainstream und Forschungsstrategien.
Die Ansätze einer interkulturellen Philosophie, die nicht nur politischer Ornat sein will, sondern begriffen hat, dass Philosophie in ihrem Wesen der Gegen-Lesarten, der Multiplität der einen Vernunft, bedarf, leuchteten mir ein und ich nahm sie kritisch in die eigenen Reflexionen auf. Ich ging dabei freilich niemals von einem ermäßigten Begründungs- oder Wahrheitsanspruch aus, und auch nicht von hermeneutischer Horizontverschmelzung im Sinne Gadamers, sondern mit Heinrich Rombach von der Hermetik der Kulturen und Traditionen. Nur dann, wenn man sie in ihrer Tiefe und inneren Logik durchdringt, soweit sie sich irgend erschließen, werden sie aufeinander durchlässig.
Ram Adhar Mall führte mich liebenswürdig in diese Zusammenhänge ein. Mit Reza Yousefi, dem innovativsten Fortsetzer dieser Belange, verbindet mich heute eine philosophische Freundschaft. Mein genuiner Beitrag zu interkulturellem Philosophieren bestand in einer Reihe von kleinen Monographien (Bautzverlag 2005 – 2007) zu Cusanus, Max Weber, Schelling und – eben – Heinrich Rombach, in denen ich jene Denkformen einer interkulturellen Lesart zugänglich zu machen versuchte. Mittlerweile habe ich auch mehrere grundsätzliche Abhandlungen zu Methode und Sache interkultureller Philosophie vorgelegt. In meinen im Erscheinen begriffenen Monographien zu Religionsphilosophie und Ästhetik wird der interkulturelle Blick eine große Rolle spielen; jener Blick, der weit über die europäischen Horizonte hinausgeht, wird mich auch in den Arbeiten der Zukunft begleiten.
Das Verhältnis zu Manfred Riedel wurde in seinen letzten Lebensjahren kühler. Den vollständigen Rückzug einer Philosophie, die etwas zu sagen hatte, aus der akademischen und öffentlichen Welt in eine Schein-Kontemplation habe ich nicht bejahen können; er war mit manchen meiner Wege nicht mehr eins. Auch mir fehlte und fehlt das Gespräch mit ihm – bei Gott – bis heute. Nichts Vergleichbares ist an seine Stelle getreten. Man lernt: Manches bleibt in einem Leben ohne Fortsetzung. Wir hätten uns gewiss wieder gesehen und an Vergangenes angeknüpft. Sein Tod, am Tag nach seinem 73. Geburtstag, am 11. 5.2009 machte diese Erwartungen zunichte. Dass ich manches post mortem über ihn schreiben und auch edieren kann, ist gut.
The times they are changing. Ich nötigte mich in den Jahren nach der Habilitation selbst zur Reduktion, zur Weglassung akademischen Ballasts. Das brachte neue Klarheit in mein Denken, vielleicht auch Härte, und wie ich hoffe, auch Eleganz und Tanz, in einem metaphorischen Sinn.
IV.
Mit den Jahren 2009/10 wurde ich nach Bamberg umhabilitiert, an betrieb ich meine Umhabilitation nach Bamberg.
Auch in Bamberg fand ich parallel zu der Tätigkeit in Poznan, die weiter lief, viele aufgeschlossene Hörerinnen, Hörer und vielleicht sogar Schüler. Ich behandelte in systematischen Vorlesungen die Zwischenfelder von Theoretischer und Praktischer Philosophie: Ästhetik, Religionsphilosophie, Politische Philosophie; dann Fragen wie Selbstbewusstsein, Methodika wie Dialektik und das Verhältnis von Philosophie zu ihrer Geschichte. In Bamberg war bis zu einem gewissen Grad möglich, was sich nicht von selbst versteht: die Einheit von Forschung und Lehre bis zu einem gewissen Grad zu realisieren. Engere Bindungen knüpfte ich auch wieder nach München: durch ein Seminar pro Semester an dem von Rémi Brague geleiteten Guardini-Lehrstuhl, eine Vorlesung an der Hochschule für Politik. Die Beziehungen zur Katholischen Universität Eichstätt (Walter Schweidler) verstetigten sich.
Seit Herbst 2012 lehre ich als Ordentlicher Professor für Philosophie, Religions- und Missionswissenschaft an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel, einer kleinen, sehr spezifischen universitären Institution sui generis in der Weltstadt, zwischen Frankreich, der Schweiz und Deuschland. Dort versuche ich, in Verbindung mit wunderbaren Kollegen, eine auf Glaube und Vernunft begründete, dezidiert christliche Theologie im Gespräch mit den Strömungen und Tendenzen der Gegenwart zu entwickeln.
V.
Mein Weg berührte in jenen Jahren stärker das publizistische und politische Feld . Warum war das so? Zunächst: Das zunehmende Ausbleiben offener Debatten über die Grundfragen und -weichenstellungen der gegenwärtigen Umbruchzeit hielt ich seit 2003/04 für zutiefst fragwürdig. Sprechblasen und bleierne Zeit sind eines demokratischen Gemeinwesens in der One World nicht würdig. Die kurzen teils auch lobbyistischen Expertenstichworte, die Metakommentare von Talkshow-Intellektuellen und erst recht der ausschließliche Rückzug in das akademische Labor konnten meine Antwort nicht sein.
Mit dem Epitheton des ‚Konservativen’ allein war ich damals nicht getroffen – und bin es heute noch weniger. Dennoch erfasst es unstrittig eine Komponente, die mir wichtig ist, wenn es um die Bestimmung der Gegenwart im frühen 21. Jahrhundert geht: Es gilt Inventur zu machen, zu fragen, welche Traditionen uns noch verfügbar sind, welche wieder freizulegen sind, wenn man nicht in Laissez faire dem rasenden Stillstand und technokratischen Sachzwängen verfallen will. Walter Benjamins kritische Hermeneutik einer – Andenken an Vergangenes übenden – „rettenden Kritik“ kann dabei hilfreich sein.
Mir scheint, dass es hier Berührungen mit einer reflektierten bewussten linken Position geben könnte. Doch die vermittelnde Mitte sollte in einer Liberalität liegen, die die Standards der offenen Gesellschaft in der globalen, veränderten Welt weiterentwickelt, aber um keinen Preis aufgibt. Denkende Linke schätze ich sehr. Ich finde allerdings eher graue Wächter über Diskurshoheiten und manche, die in dürftigster Geisteshaltung akademische Freiheit beschränken. Eine argumentative Auseinandersetzung, zu der ich immer bereit bin, kann es nur geben, wo zumindest die Bereitschaft besteht, nach verschiedenen Seiten zu blicken, kritisch auch gegenüber sich selbst. Mit meinen tudenten nehme ich sehr bewusst das – natürlich auch kritische – Gespräch mit der neomarxistischen Philosophie des 20. Jahrhunderts wieder auf. Aus einer fortdenkenden, Kritik und Bewahrung verbindenden Analyse der Traditionen kann erst ein eigenständiges Ethos resultieren. Ich halte an der Konzeption der ‚unbedingten Universität’ fest (J. Derrida). Denkverbote, Ideologisierungen, Furchtsamkeiten – all das hat letztlich im akademischen Feld nichts zu suchen.
VI.
Wenn ich auf dieses ‚in media vita‘ blicke, kann ich mit Dank auf viele Begegnungen und Beziehungen zurücksehen, die mich bereichern. Ein Philosophieanbieter bin ich dabei nicht geworden. Ohne Widerständigkeit geht es nicht. Nur wenn man es sich in der richtigen Weise schwer macht, kommt man zu Leichtigkeiten und vielleicht zu Gedanken, die bleiben.
Ich durfte – und darf – bedeutende Persönlichkeiten kennen. Manches davon dauert bis heute, manches ist verblasst und ging auseinander, wie Nietzsches Sternenfreundschaften. Ohne meine Frau Chris wäre der Weg der vergangenen zwölf Jahre nicht möglich gewesen; in Zustimmung und Widerspruch; auch nicht ohne den Halt meiner Familie und der wenigen wirklich guten Freunde und Freundinnen. Die wenigen, die mir immer am Herzen liegen, wissen es, wie ich es weiß. Über das Persönliche Allzu-Persönliche sollte aber sonst an dieser Stelle Bacons: „Über uns aber wollen wir schweigen“ gelten.
Dazu kommen einige größere Abhandlungen über Fragen, die mich seit langem beschäftigen: das Verhältnis der Philosophie zu ihrer Geschichte; die Aktualität der philosophischen Dialektik als Methode, Bedeutung und Grenze analytischer Philosophie. Ich nehme auch die Frage nach dem Zusammenhang von Phänomenologie und analytischer Philosophie in ihren Die Essayform, die die Grenze zum literarischen Text und zur ‚dichten Beschreibung‘ streift, werde ich vor allem in einer Skizze zur Naturphilosophie wiederaufnehmen. Wie weit ich den Limes zwischen Philosophie und Literatur ausreize, wird sich zeigen. Ich werde auch weiterhin, und vielleicht mehr als bislang, über Kunst und Dichtung schreiben. Vielleicht nicht nur‚ über sie…
Das große Gespräch der Weltkulturen und die ost-westlichen Einheiten in der Differenz werden mich in Atem halten, implizit und explizit. Hier hat mir die Freundschaft mit Andreas Mascha und dem ost-westlichen Meditations- und Kunstmeister Balavat manches gegeben.
Ich versuche, Bücher vorzulegen, die nicht nur von einem Philosophen für andere Philosophen geschrieben werden. Und ebenso wenig strebe ich die Windschnittigkeit von Bestsellern mit der einen These an, die bald schon vergilbt ist.
Die Rede und das, was Freunde meine Performance Lectures nennen, gehört aber zur Belebung des verschriftlichten Textes. Sie vermag ihm zu Hilfe kommen, wie der große Platon sagte.
Dann ist ein erneuter Themenwechsel an der Reihe. Wohin er mich führen wird, ist offen.
Bei allen Schwierigkeiten und Ermüdungen, die auch ich kenne, ich habe den großen Vorteil, nicht zwischen Hobby und Beruf unterscheiden zu müssen. Leidenschaften, die meine philosophische begleiten, sind die zur bildenden Kunst, zur Musik verschiedenster Facetten (hörend, passiv, aber Partituren lesend), und vor allem zur Literatur.
Ein offener toleranter, suchender, zugleich aber entschiedener christlicher Glaube in ökumenischem Großen Konsens gehört entscheidend zu meinen Prägungen.
So gehe ich weiter, aber niemals weg, von dem, was des Denkens, Lebens und Liebens wert ist.
HS.