Plötzlichkeit charakterisiert den Terror wie kaum etwas sonst. Von diesem tertium comparationis her hat Karl-Heinz Bohrer surrealistische Ästhetik und Terror als ein Phänomen phänomenologisch zusammengesehen. Dass im Terror Nichts und Nihilismus eine motivierende Kraft haben, dass unter der Hand alle Ideologien, die zu terroristischen Aktionen werden, in die Drohung einer jähen, unplanbaren Vernichtung umschlagen und selbst darin umkommen.
Der Terror, den Bohrer vor Augen hatte, kulminierte zuletzt in den Schlägen der RAF und der Roten Brigaden.Desperados, die die saturierten bürgerlichen Gesellschaften tief irritierten und unerwartet zuschlugen, Hysterie in einer Verbindung von Hektik und Paralyse freisetzten, wurden zu neuen Ikonen der Gesellschaft. Negativ identifiziert in der Regel, doch die politische Agenda mit bestimmend, so dass jeder, der eine Erinnerung an die siebziger Jahre hat, auch die Gesichter und Fahndungsplakate der Linksterroristen vor Augen hat.
Man konnte jenen Terror noch mit Hegels reflexiv verdichteter Beschreibung aus der ‚Phänomenologie des Geistes‘ erfassen, wonach es um Haupt- und Staatsaktionen ging, in denen ein Menschenleben nicht mehr bedeutete wie das Abschlagen eines Kohlhaupts oder ein Schluck Wasser.
Der Terror, der seit zwei Jahren einige Staaten Europas, wie Frankreich, vermehrt, ja permanent heimsucht, ist nochmals von anderem Zuschnitt. Er ist omnipräsent, ist nicht mehr nach Kaderorganisationen und ihren Mythen verfasst, die sich in zweite und dritte Generationen (wie die Baader-Meinhof-Gruppe) ausweiten, sondern verbreitet sich auf impliziten Kanälen sehr viel schneller. Im Netz werden die neuen IS- Kämpfer und ihre Ableger requiriert, mit einer tief bösen, verführenden Ablegerreligiosität eines postkolonialen polititisierten Islamismus. Sie brauchen keine Waffen, keine Lager, keine Camps. Sie tauschen, um die Verständigungsachse einiger Codeworte und düsterer Verheißungen mögliche Aktionen aus. Es bedarf auch keines Generalplans, sondern die kleinen feinen, dann wieder blutigen überraschenden Stiche prägen längst die Alltäglichkeit. Irgendwann werden sich die Muster wiederholen. Doch noch ist die Plötzlichkeit, der Schock das jäh eintretende Ereignis.
Gewiss, kann es im Leben keine vollständige Sicherheit geben – doch dieser hilflose Polit-Satz wird konterkariert durch hektische Betriebsamkeiten, große Pläne, die gerade so weit reichen wie die jüngsten Anschläge. Populistischer und extremer Alarmismus, eine apokalyptische Grudnstimmung, die den Hass der Täter kopiert, ist die regelmäßige Kehrseite. Und dann sollen ebenso regelmäßig „unsere“ immer kraftloseren Werte gegen den Terror verteidigt werden. Weglächeln und wegtanzen mit einem postmodernen Dennoch. Dagegen ist nichts zu sagen, doch heben sich unschuldig naive Teenager als Massenopfer von düster verhetzten IS-Mördern so unglaublich kontrastiv ab, dass die gegenwärtige Welt zum Thriller wird, mit einem in Nationalegoismen zerfallenden, um sich selbst nicht mehr wissenden Europa, mit Grenzsicherern, die weder demokratisch noch frei sind. Es scheint so, als würden Krisenzonen, ebenso wie im Thriller oder wie Krankheitskeime in einem Organismus, sich mit rasanter Geschwindigkeit auf das noch unbelastete Gewebe ausweiten.
Im besten Fall würde der lange saturierte und befriedete Westen mit der neuen Krankheit leben lernen, sie irgendwann durch Immunisierung und durch zunehmende akrobatische Übungen mit dem Unsäglichen verwinden. Im schlimmsten Fall wird der Thriller zu einer unendlichen Wiederholung, die in ihrem hektischen Stillstand nur zynisch sein kann. Der Vergleich mit eine Staat wie Israel ist in jedem Fall problematisch, da dessen Staatsraison nicht importiert werden kann.
Leben in Zeiten des Terrors bleibt prekär. Auf die Idee einer ästhetischen Deutung käme heute niemand. Die Lage hat den Ton des Ernstfalls: Nicht in alten militärischen Abwehrszenarien, sondern so, dass Ethos und Politik auf der Probe stehen, Klugheit ebenso wie Idealismus, Versöhnungskraft ebenso wie eine unumgängliche und intelligente Selbsterhaltung. Das eine ohne das andere wird nicht wirksam sein. Epidemische Selbstzerstörung bringt geradezu zwingend Ungeheuer hervor. Nur wenn sie gebannt werden, ist Leben in Würde möglich.