Vortrag Lochman Lectures Riehen 2019.
Meine Damen und Herren
1. Vorbemerkung
Christliche Identität ist unmerklich und als eine Art Selbstverständlichkeit noch immer erkennbar in den „exzentrischen Identitäten“ Europas (Rémi Brague) Sichtbar und hörbar bereits in den äußeren Relikten der Kulturgeschichte, in Musik, Literatur Dichtung, die in einem so ungeheuren Ausmaß von der Lutherbibel oder dem Book of Common Prayer lebt: In den Bauwerken, Kathedralen, in den Formungen eines Lebens. Brechts Frage nach dem wichtigsten Buch in seinem Leben gibt einen späten Schattenwurf: „Sie werden lachen, die Bibel“. Der Brand von Notre Dame hat diesen Kanon einer kulturellen Prägung, die Säkularisierungsbotschaften überdauerte, nochmals neu ins Bewusstsein gebracht.
Jüngst stellte der Münchener Theologe Jörg Lauster all diese Linien in seiner Kulturgeschichte des Christentums meisterhaft dar.
Zu fragen ist allerdings, wenn man von solchen Selbstverständlichkeiten ausgeht und von ihnen geradezu überwältigt wird,was hier Identität bedeutet.
Ich versuche eine vorläufige Umschreibung, die nicht als starre Definition gemeint ist: Signalisiert wird in jedem Fall eine Grundprägung, durch die Geschichte, der Fluss von Fakten, Daten und Hervorbringungen zu einem bleibenden, dauerhaften Gebilde md Gepräge geworden sind, einer dauernden Manifestation. Identität ist die Spur, in der die Einzelheiten in einige wenige zentrale Kürzel eingeht, aus denen ein großer Teil der Welt lebt, nicht nur in Europa, sondern in unterschiedlicher Weise in allen Ländern, die von der christlichen Botschaft und ihren Lebensformen erreicht wurden.
Man stößt darauf in einer Art von Archäologie, auf einem Weg bis „tief in den Brunnen der Vergangenheit“, auf dem man die Frage zu beantworten hat, was ohne den christlichen Glauben anders wäre.
Dies zeigt sich nicht nur in Kunst und Kultur, sondern markant auch im rechtlich-politischen Feld, Zwei Reiche Lehre; eine Trennung zwischen Religion und Politik allerdings in der (wie es in der Barmener Theologischen Erklärung heißt,): Verantwortung vor Gott und den Menschen. Damit ist eine Linie seit Augustinus skizziert, die wieder in den neuzeitlichen Verfassungen erneuert wurde, durchaus auch gegen die Gefahr eines theologischen Furor und die Konfessionskriege in der frühen Neuzeit.
Diese Identität kann in einer durch und durch plurlaen Welt nur eine Identität in Vielstimmigkeit sein: der Geist und die Materialisierung des Einen Christlichen, in der Geschichte getrennt, doch in dieser Trennung wieder in eine lebendige Mehrstimmigkeit geführt. Dem, der vielleicht auch Gottes Wirken in der Geschichte annimmt, es zumindest nicht ausschließt, kann dies auf die Unerschöpflichkeit und den Reichtum der Wege Gottes verweisen, die niemals im Ganzen sich erschließen, sondern nur in Brechungen, Facetten im Irdischen fassbar sind.
Damit ist schon gesagt, dass diese Identität über einzelne Positionierungen und Bekenntnisse deutlich hinausreicht.
2. Die Identität: Christsein in a nutshell- und seine Paradoxien
A. Wenn man auf diese Identität als eine tatsächliche DNA vordringen will, in einer nicht primär destruierenden, sondern suchenden Bewegung, auf eine unverwechselbare und singuläre Signatur, reicht es, so meine erste These nicht aus, alle die Elemente festzuhalten, die durch „Säkularisierung“ hindurch noch bestand haben und als Schatten oder Säkularisate fortwirken, die die Kultur also stärker geprägt haben, als es der Kultur selbst bewusst ist. Z.B. die Menschenwürde-und ihre operative Umsetzung in Menschenrechten. Nicht „ein höheres Wesen, das wir verehren“ , (H. Böll, Dr. Murke’s gesammeltes Schweigen, oder das Etre suprême von Hegel) als letzter Ankerpunkt menschlicher Verpflichtung in der Verfassung, nicht nur: das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit (Schleiermacher) , ein Sich setzen als sich (so) nicht Gesetzt haben, auch nicht allein die Kraft des Guten, die in Gott wurzelt: Dies sind notwendige, keineswegs aber schon hinreichende Bedingungen der christlichen Identität.
Zu ihr gehört aber eben jener Mehrwert, jenes Surplus, das sich einer säkularen /säkularistischen Lesart entzieht (Gogarten, Verhängnis der Neuzeit), das nicht, schon gar nicht bruchlos, in nicht-religiöse Sprache übersetzbar ist. J. Habermas hat in seinen Reflexionen über Glauben und Wissen seit 2001, als ein „religiös Unmusikalischer“, eine Bezeichnung übrigens, die er von Max Weber übernommen hat, auf jenen Angelpunkt hingewiesen und gerade an ihm die christliche Identität verdeutlicht. Dietrich Bonhoeffer definierte diese Identität seitens christlichem Glaubens elementar so definiert, durchaus auch als Leitgestalt seiner Widerständigkeit: „Was ohne Christus geschehen kann, ist nicht christlich“ .
Grundsätzlich und für die Phänomenstruktur maßgeblich, resultiert daraus ein Doppeltes:
(1) diese christliche Identität hat eine große interdenominationelle Weite. Sie hat damit einen ökumenischen, Weltkirche (sowohl diachron als synchron) erfassenden Umfang. Das meint eigentlich der Begriff der Katholizität: Die weit über den Bereich des römischen, lateinischen Katholizismus hinaus von Bedeutung ist. Der bedeutende Basler römisch-katholische Theologe Hans Urs von Balthasar spricht in diesem Sinn von der „Schleifung der Bastionen“, der Weltlichkeit und Kontextualität die dem Christlichen von Anfang an zu Eigen sind.
Spät erst wurde diese Liebesuniversalität wirklich erkannt. Vermutlich ist sie noch längst nicht erschöpft. Dass sie EINS seien, der Wunsch des Auferstandenen: schließt ein, dass der christliche Geist ein Geist der Freiheit ist, der sich nicht in Theologoumena, nicht in Dogmen und nicht in Richtungsentscheidungen einmauern lässt und, im buchstäblichen Sinn, überall weht wo er will. Ein Geist des Christentums, der gerade nicht aus bestimmten Kulturbegrenzungen zu gewinnen ist, wie man es teilweise im 19. Jahrhundert finden kann, A. v. Harnack, insbesondere in seinen abwehrenden Voten gegenüber der orthodoxen Theologie und Kirche
Diese Ökumenizität, Vielheit ist, bzw. inheit aus der Vielheit, Eine Verbindung in der Vielstimmigkeit. Es geht um eine Wahrheit, die aber um nochmals Balthasar zu zitieren, in sich vielgliedrig und eigentlich „symphonisch“ ist. Wenn diese Symphonie kakophonisch wird, wenn die Differenzen überwiegen und- vor allem und beklagenswerterweise, wenn die Liebe fehlt, verfehlen Christen leicht ihr Zeugnis und werden zu Antizeugen.
(2) Zugleich gibt es aber das Bewusstsein des unterscheidend und entschieden Christlichen. Auch die definitorisch klar gezogene Grenzlinie, wo das Christliche endet. Christliche Verschärfung nannte dies Balthasar, den Bezug auf eine Wahrheit, die nicht nur propositionales Satzgefüge ist, wie die Wahrheitskonzeptionen im griechisch philosophischen Sinn, sondern ein personales Geschehen, Offenbarungs- und Bundeswahrheit, eine umgestaltende Wirklichkeit: Aemaet, Schema Israel, Präsenz Jesu Christi.-
Dies bereitet sich schon vor im Bund in der jüdischen Theologie. Wahrheit und Bund sind identisch, Die spezifische Verschärfung ist zugleich eine Verschärfung an Liebe .Bergpredigt Mt 5. Die Welt und ihr; ein Kenntlichwerden vor und gegenüber der Welt: Ein Doppelgebot der Liebe, aber so, dass die, die in diesem Bund sind, sich unterscheiden können- und dürfen.
Die Liebe erweist sich als des Gesetzes Erfüllung, als Ziel und Ganzheit, aber zugleich Zuspitzung. Hierin liegt eine Art narrativer Ontologie, ein Erfüllungszusammenhang. Klassisch würde man diese Seite der Identität wohl als die Apostolizität der Kirche fassen.
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Vor diesem Gesamthorizont zeigen sich Zweideutigkeiten, Polaritäten oder gar Widersprüche die in der christlichen Identität schon strukturell zusammenhängen. Sie ist nicht (allein) von dieser Welt, doch sie hat in der Welt ein Mandat: Ein politisches, kulturelles, gestaltendes; ein Katechontisches und letztes von vorletztem Unterscheidendes.
Die ermüdenden Formen solcher Hypostasen des Vorletzten bedingen, dass Christen immer wieder sich auf einzelne dieser Formen kaprizieren und sie so weit verhärten, dass sie zum status confessionis erhoben werden, kennt man aus Geschichte und Gegenwart des Christseins. Es ergeben sich im konkreten Christsein durchaus Antinomien, die innerhalb der Logik des Christentums aufzulösen, in ihrer Vorläufigkeit sichtbar zu machen sind. Das ist das über-konfessionelle, im guten Sinn Ökumenische.
Jede Form von Kirche hat hier ihre Verengungen, und ihre spezifischen Potenziale. Der lateinischen Kirche kommt in hohem Maß derWelt umspannende Rang zu, zugleich aber hierarchische Petrifizierung/Ritualisierung derKatholischen Welt. Dagegen die Dominanz der Liturgie:in der russischen und griechischen Orthodoxie, Protestantisch: ein starkes Lehen in der Welt und von ihr, aber wie weit ein primär geistliches Mandat? Petrinisch-Paulinisch-Johanneisch.
Zusammengenommen, das Paradoxon, dass christlicher Glaube eine Verschärfung, eine Erhöhung des ethischen Anspruchs der großen Kulturen der alten Welt bedeutet (Vgl. Schlatter, Die christliche Ethik, S. 200 ff. ), aber im Zeichen einer umfassenden, umgreifenden Liebe.
2. Die Botschaft:
Dies führt auf die materiale Seite der Identität: Die verbindende und verbindliche christliche Botschaft.
Heute wird es vor allem an der Essentialisierung, der Verwesentlichung, Rationalität und Kommunikation liegen, nicht nur in der Kirche, sondern in der Welt. Intelligent reflektiertes Bekenntnis. Wenn christliche Identität angemessen sichtbar sein werden soll, muss diese Identität in der notwendigen Weite und zugleich in der gebotenen Unterschiedenheit formuliert werden können. Es ist der kenotische Kern, die Verbindung zwischen Gott und Mensch in Jesus Christus. So ist christlicher Glaube in erster Linie eben nicht eine Buchreligion, nicht einfach ein Monotheismus, mit allen drohenden Elementen der Gewalttätigkeit, die Monotheismen anhaften mögen, wenn sie sich vom universellen Gedanken abwenden (vgl. Jan Assmann). sondern ein Glaube in und durch Beziehung, durch reales Geschehen und Geschehen-Sein. Damit knüpft christlicher Glaube freilich an den Bund (aemaet) im Judentum an, der doch zugleich die Überlieferung der Wahrheit tradiert.
Zu dieser Identität gehört selbstverständlich eine monotheistische Struktur. Sie bleibt aber nicht isoliert, vielmehr geht sie in ein inneres Verhältnis Gottes ein, eine Perichorese in der sich Vater und Sohn und Heiliger Geist durchdringen. Solche Momente führen von einer „niedrigschwelligen“ in eine doch herausfordernde Struktur. Es ist die Sache Gottes, eine Beziehung einzugehen, die in seinem Geist vor Anfang der Welt gewesen ist – und deren offene Zukunft noch aussteht. Christus der Menschgeworden Gott ist als die Mitte wirksam. So zeichnet sich das völlige Novum eines Gottes ab, der nicht Opfer einfordert, sondern der selbst das Opfer erbringt, ja zum Opfer wird (R. Girard, Der Sündenbock). Der wie es schon vom Gottesknecht im Buch Jesaja heisst: eingeht in die Niedrigkeit.
Geschichte erweist sich so als Heilsgeschichte, die zugleich bleibend und dauerhaft metaphysisch orientiert ist. Es ist der materiale Glaube an die Gottheit, die nach christlichem Bekenntnis in dem Menschen Jesus Christus selbst Mensch wird und menschliches Leben bis in die letzten Tiefen der Kenose erfüllt: im Leiden, im Tod, wobei er dann den Tod umkehrt. Daraus resultiert eine eigene Ethik, vermutlich ausgehend vom Urmonotheismus des Judentums in diesem Sinn die erste universalistische, Sozialethik und Individualethik miteinander verbindende Dimension des Ethischen, die anschließen kann an die antiken Grundlinien dessen, wie man leben soll: die es aber überbietet und in ungeheurer Weise vertieft durch die Liebe: So zeigt sich ein durchglühender Charakter, der Pflichten und Rechte anleitet, und dessen Gewissen auf Liebe beruht. In Umrissen wird eine Ontologie des Ethischen sichtbar, die Paulinisch als „Umgestaltung in Christus“ umschreiben wird.
Kreuzeszeichen, Kenose: turpissima mors- und der Glanz des Ostermorgens, der Auferstehung, dieses „Mysterium der drei Tage“, muss in christlicher Identität immer irgendwie sichtbar sein. Evoziert wird damit die Präsenz des Reiches Gottes, die aber selbst noch vorläufig ist, einbezogen in die Spannung des Schon und noch nicht. Dieser Glaube: Pistis: ist existentiell, er hat aber immer auch eine rationale propositional fassbare Seite. Performanz und Propositionalität.
An seiner Geschichtlichkeit /Historizität ist viel gelegen. Denn damit ist dieser Glaube per se nicht mythisch (R. Girard, Verhältnis von Religion und Gewalt entscheidet sich an der Preisgabe des Mythos: Apokalypsis, revelatio). Das Geschehene muss aber einen Ewigkeitswert gewinnen, es muss beglaubigt werden: In dem Geistzeugnis, in dem wir Eins sein sollen.
Die neuere französische Religionsphilosophie hat diesen Faden aufgenommen und phänomenologisch entwickelt, Jean Luc Marion spricht von der Gabe, donnee die alle anderen Gaben übertreffe und vor allem das Do ut des der Gegenseitigkeit außer Kraft setze (Marion, Angenommen sei, 200 ff.).
Hier kommt wieder eine gewisse Doppelung ins Spiel: Einerseits schreit die christliche Wahrheit buchstäblich auf den Gassen. Sie richtet sich an alle,- wendet diese Liebesbotschaft schon allen zu – andrerseits aber enthält sie ein tiefliegendes Mysterium, das man irgendwann einmal glauben muss, vorbereitet, aber im letzten in einem Sprung: Jacobi nannte dies den „Salto mortale auf festen Grund“, Kierkegaard nahm die Sprungmetapher auf, und sprach vom Sprung, der aus der zerrissen-verzweifelten Verfassung des Selbstbewusstseins retten kann. Die geschichtliche Beglaubigung ist freilich wesentlich, weil es eben darum geht, dass Gott in die Geschichte eingetreten ist. FACTUM EST).
Diese doppelte Struktur der umfassenden und verständlichen Wahrheit spiegelt sich exemplarisch in dem Verhältnis von Glaube und Vernunft . Sind doch nach biblischem Zeugnis „in Christus alle Schätze der Weisheit verborgen.“-ist doch der von ihm heraufgeführte Friede „Höher als alle Vernunft“. Eine Vernunftbeziehung, die aber das menschlich Ausdenkbare überschreitet, auch weil sie so elementar und grundlegend ist.
Die Gemeinde ist (nach dem Johannesevangelium) hineingenommen in das Verhältnis des Vaters zum Sohn, so dass ihr Tun und Handeln, aber auch Leiden in der Welt geschieht, im Wissen, dass Er die Welt überwunden hat, dass die Mitte gesetzt ist. J. Klepper: „Die Mitte fest gewiesen ist“.
3. Christliche Identität und plurale Gegenwart
Der Erlanger Neutestamentler und Kirchenhistoriker Ethelbert Staufer sagte einmal, dem christlichen Glauben seien die Teppiche nie ausgerollt worden, die Welt habe – zumindest äusserlich – nicht auf ihn gewartet. Insofern ist christliche Identität heute so wenig wie jemals zuvor: eines ganz sicher nicht, eine fraglose Mainstreamidentität, die eine Kultur einfach bestätigen würde.
Christliche Symbole, auch im öffentlichen Raum (s. Kreuzerlass der bayrischen Staatsregierung vergangenes Jahr): haben immer einen kritischen, umkehrenden und elenchtischen Sinn. Sie haben etwas Provokatives, die Kenose und den Triumph: Skandalon und Moria-Charakter. Sie entthronen den Menschen in seiner Macht, sie machen, wie Luther gelegentlich sagte, die Obrigkeiten wieder zu „Untrigkeiten“ vor Gott.
Dies ist gleichsam eine bleibende Struktur. Das Neue an der gegenwärtigen Gesellschaft ist aber, dass in der Globalen Welt die verschiedenen Weltkulturen und –religionen de facto überall präsent sind und sich durchdringen. Dies bedingt teilweise eine Neutralisierung (Weltalter des Ausgleichs, das Max Scheler nach dem Ersten Weltkrieg bereits sah; es kam anders, wie wir wissen). Zugleich aber ist es eine tief zerrissene Welt, bestimmt von offensichtlichen und auch latenten Konflikten, bis hin zum Clash of Civilizations, Huntington . Hier stellt sich die Frage, wie jene christliche Identität und DNA sichtbar wird. Einerseits sicher in einem säkularen Zusammenhang, der stets (noch und wieder) aus der christlichen Wurzel lebt. J. Habermas hat darauf in seiner Rede zum Friedenspreis des deutschen Buchhandelns schon 2001 mit großer Prägnanz und Klarheit hingewiesen und die Bereiche der Unersetzbarkeit von Religion und insbesondere christlichem Glauben benannt: Verzeihung,Vergebung: /die Dimension von Schöpfung in ihrer völligen Inkommensurabilität zu einem evolutiven Entstehen.-
Jene habituelle, bis weit in die säkulare Welt hinreichende D N A (Stichworte Zwei-Reiche Lehre, Trennung, aber Verantwortung vor Gott und den Menschen, ein Altruismus) wird, so meine weitere These, nur wirksam, wenn neben den Säkularisaten innerhalb einer Religion der Vernunft, auch der lebendige Glutkern präsent ist, Christsein als gelebter Glaube. (Notre Dame und andere Kathedralen: Der Glutkern die Reliquien der Märtyrer),
4. Aus dem Kern sprechen: Substantiell-klar-provozierend
Hier hat m.E. christliche Theologie und Gemeinde auch in der Folge der Auseinandersetzungen von Lochman mit dem Marxismus in Ostmitteleuropa und seinen weiten und zugleich entschiedenen Essentialisierungen der christlichen Botschaft, eine zentrale und bleibende Aufgabe, die gleichermaßen provozierende Herausforderung und Chance ist. Das Zeugnis christlicher Identität muss diese Pluralität annehmen, und in ihr auch je spezifisch sich zu Wort melden. Christliches Denken heute muss und sollte aber beides erkennen und erfassen, das versschärfend, pointierend zuspitzend Christliche und dessen ökumenische Weite. Innere Pluralität findet ihre Antwort nicht in einem amorphen Pluralismus und Wahrheitsrelativismus, der nur in die doppelte Falle von Ernst Troeltschs Diktum tappt, dass sich christliche Kirche und Gemeinde in der Moderne entweder zur Sekte verhärte in immer weitergehender Ausdifferenzierung oder dass sie im Mainstream auf und untergeht. Die Gefahr ist nach wie vor gegeben, der Rückgang christlichen Glaubens in der Gegenwart ist dafür ein spezifisches Indiz.
Massive Milieuveränderungen haben einen Rückgang und Rückzug zumal in Europa, zumal der beiden großen Konfessionen bewirkt (Raffelhüschen-Report, 2019, Rückgang röm.-kath. und ev. in Deutschland bis 2060 auf die Hälfte der Kirchenmitglieder). Ursachen durchaus unterschiedlich, die aber jeweils deutlich den Mangel der beiden Konfessionen zeigen Erstarrungen in der Katholischen Kirche, auch der Umngang mit Missbrauch. Evangelisch aber eine nicht bindende nicht faszinierende funktionärhaft erkaltete Sprache, die vom lebendigen Zeugnis nicht mehr sehr viel erkennen lässt. Nur noch Sozialstruktur, die man gerne hinnimmt, die aber nicht zum Glauben führt. Hier ist durchaus zu sagen, dass die Säkularisierungsdiagnose von Ch. Taylor, A secular Age, nach wie vor aktuell ist: ein neuer Scheitelpunkt. Es ist nicht selbstverständlich Christ zu sein,- anders als um 1500, doch die säkularistische Weltsicht hat auch keineswegs zwingend die besseren Gründe. Die massiven Veränderungen der Statistik werden Christliches Zeugnis zu beidem nötigen: zu Profilierung, auch dem, was Entweltlichung bedeutet, und dazu, doch offensiv und in einer nicht klerikalen Sprache ihre Botschaft zu sagen.
Diese Identität ist sichtbar zu machen, ich sage es sehr pauschal: Als der Glutkern (Notre Dame), als das lebendige Feuer und nicht nur als die Asche.
Wie artikuliert sich diese Identität? Hier sind Theologie und Gemeinde sprachlich und in der Sache heute zu neuen und großen Anstrengungen aufgefordert. Man kann aber auch sagen, sie sind inspiriert, sich von der Neuigkeit und Macht des Geistes bewegen zu lassen. Es ist doch unstrittig, dass christliche Verkündigung und auch Ehre in einer anderen Lebenswelt als der unseren angesiedelt sind. Dies ist das relative Recht einer Selbstsäkularisierung, die oftmals als Apologetik begann. Schleiermacher an die Gebildeten unter de Verächtern der Religion, Bultmann Im existenzial. Die Andersheit verbindet aber mit dem Kern unseres Glaubens. Theologie muss insofern per se zwischen den Zeiten stehen, sie verbunden, nicht nur diachron, sondern auch synchron gleichsam „Allen alles sein“- oder doch zu sein versuchen. Sie kann die Sprache und die Form biblischen Wortes und der frühchristlichen ökumenischen Konzilien, 1. Jahrtausend in Abstufung als Norm fassen. Wissend, dass hinter die lingua franca des Lateinnischen ins Griechisches aber auch in das Hebräische sichtbar zu machen ist, und dies mit der post und hypermodernen Ästhetik zu verbinden ist.
So wie die frühe Christenheit missionarisch derart erfolgreich wurde, weil sie wirklich allen alles ist.
5.Epilog: in Summa
Christliche Identität ist ganz von dieser Welt und sie ist nicht in dieser Welt gegründet. Sie redet nicht zuerst und nur vom Menschen, sondern von Gott. Sie tut die „Schritte über uns hinaus“ (R. Spaemann). Eine Identität, die in den Grund, auch die Abgründigkeit des Menschlichen geht: und deshalb von jeder ideologischen Identitätsverhärtung sich von Grund auf unterscheidet.
Kritik nicht abwehren, an ihr nicht vergehend, sondern sie aktiv und weiterbildend integrieren.
Sie ist entzentriert, indem sie eben auf den Grund orientiert ist: Den Grund im Sinn Gottes des Schöpfers, und im Sinn unserer Hoffnung und Erlösung. Den verhärteten und verhärtenden Identitäten, wie sie heute vermehrt wieder aufkommen, nicht zuletzt in einem neuen Nationalismus ist dieser Glaube nicht angemessen. Er ist ihnen in vielfacher Hinsicht voraus, sogar uneinholbar, so wie Rilke es einnmal schrieb: „Sei allem Abschied voran, als läge er hinter dir…“
PEGIDA, Abendlandbegriff, eine „identitäre Identität“ sich nur statisch wiederholend, die Blöcke und Verhärtungen fixieren will, die ausschließt: Hier wir dort die anderen. Eine Inklusivität, die zugleich eine Exklusivität und Weite in sich einschließt.
Es ist eine Identität, aus deren Weite und Profil nicht nur Europa nach wie vor lebt, die aber nichts Vergangenes, sondern das eigentlich anstehende ist.