Der neue-alte Antisemitismus

Dass ein massiver oder klandestiner Antisemitismus , eine verbale und physische Gewalttätigkeit gegenüber  jüdischem Leben in Deutschland wieder vielerorts aufkommt, und dass dieses jüdische Leben gefährdet ist, Jüdinnen und Juden verschiedener Generationen sich überlegen, Deutschland und Europa zu verlassen, ist ein großer  Skandal dieser Zeit. Krokodilstränen helfen nicht. Entscheidend ist die Bereitschaft, jüdisches Leben zu schützen. Die Kenntnisse jüdischer Religion und jüdischen Lebens  sind diesseits von Folklore und billiger Betroffenheit hierzulande noch immer sehr dürftig!

Entschuldigungen darf man den offensichtlichen oder klammheimlichen Antisemiten nicht durchgehen lassen. Ein neu immigrierter habitueller islamistischer Antisemitismus ist schändlich. Dies nimmt dem alten nationalistischen Antisemitismus aber nichts von seiner Widerlichkeit.  Eine Partei, die ihn in ihren Reihen dulde oder sogar kultiviert, trotz Fensterreden in die andere Richtung, diskreditiert sich selbst. Auch eine linke, aktivistische Anti-Israel-Agitation ist in ihrem hässlichen antisemitischen Kern zu entlarven.

Die Wiederkehr des unsäglichen Judenhasses und die Schamlosigkeit, in der die Ressentiments in Echokammern und Verschwörungstheorien verbreitet werden,  wirft die Frage auf, wie tief ein Ressentiment geht und  ob eine jahrzehntelange Pädagogik der historischen Sensibilisierung letztlich zu nichts führte. 

Die Bundeskanzlerin hat Recht: Dass Jüdisches Leben in Deutschland wieder in dieser Breite und Tiefe  möglich wurde, ist  als ein Wunder.

Jüdische Existenz ist keineswegs nur eine Frage von Vergangenheitspolitik. Jüdisches Leben und Denken bringt eine ethische Kraft und eine Überzeitlichkeit des Bundes, kurz: Es bringt die Stimme Jerusalems in das Ethos Europas. Für die großen jüdischen Denker von Maimonides über Hermann Cohen bis zu Franz Rosenzweig und Emmanuel Lévinas ist die Verbindung zwischen der Essenz der Religion und der Vernunft zentral. Jüdische Identität ist in der Verbindung von Partikularität und Universalität, Zeugnischarakter einer Geschichte, die im Fluss ist.

Dieser Zeugnischarakter unterminiert statische nationalistische Identitäten, aber auch weltanschauliche Universalismen, die sich nicht um den Einzelnen in seinem Leid und Schmerz kümmern.

Jüdisches Leben und Denken ist damit ein Monitum, ohne das die deutsche Gesellschaft wieder in Barbarei verfallen würde, in Gedächtnis-und Gewissenlosigkeit. Dies darf nicht geschehen!